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INTERVIEW IN "PASSAGEN“, eine Publikation der Pro Helvetia

Ausgabe 1/2010 Download als PDF

Der Rhythmus ist das A und O

Das Übertiteln von Theateraufführungen ist eine sehr spezifische Form des Übersetzens: Es operiert mit Schrift, geschieht aber live und ist so im Grunde ein Dolmetsch-Vorgang. Im Gespräch gibt die auf Übertitelungen spezialisierte Zürcherin Dora Kapusta Einblick in ihre Berufspraxis und in die Möglichkeiten und Tücken des Übertitelns.

Interview: Tobias Hoffmann

1996 sprang Dora Kapusta ins kalte Wasser und übertitelte zum ersten Mal eine Theateraufführung, und zwar gleich Robert Lepages siebenstündiges Opus „The Seven Streams of the River Ota“: Ein paar Jahre später hat die diplomierte Übersetzerin eine eigene Firma gegründet und sich auf Theaterübertitelung und Filmuntertitelung spezialisiert. In ihrer Diplomarbeit an der Zürcher Hochschule der Künste hat sie sich ausserdem Gedanken darüber gemacht, ob Übertitel, über die blosse Verständnishilfe hinaus, als eigenständiges ästhetisches Theaterelement eingesetzt werden können.

Frau Kapusta, Ihr letzter Auftrag führte Sie Ende November 2009 nach München ans Spielart-Festival. Dort haben Sie die Übertitelung von Beatriz Catanis Stück „Finales“ betreut. Schildern Sie doch bitte, was Sie für Erfahrungen mit dem textreichen Stück der argentinischen Autorin gemacht haben.

Eine Studentin des Instituto Cervantes übersetzte das gesamte Stück vom Spanischen ins Deutsche. Jemand von der Programmgruppe des Festivals realisierte jedoch, dass sie keine Übertitel machen konnte – denn Übertiteln ist eine spezifische Form der Übersetzung. So wurde ich angefragt. Ich bekam eine DVD der Aufführung und fing an, den Text „herunterzuschneiden“. Die wesentliche Arbeit besteht darin, den Text auf den Rhythmus der Aufführung abzustimmen, und das dauert mehrere Tage.

Was passierte nun auf der technischen Ebene, als Sie die Übertitel hergestellt hatten?

Ich schreibe zuerst einen Technical Writer. Darin halte ich fest, wie viel Platz ich brauche, ich muss so sitzen, dass die Sicht gut ist, dass ich gut hören kann, ich brauche eine Leselampe. Ich biete, was ziemlich selten ist, das ganze Paket an: Ich übersetze, ich übernehme die ganze Konvertierung ins Power Point, ich weiss, wie man einen Beamer einstellt. Natürlich muss dann bei der technischen Einrichtung jemand da sein, der zum Beispiel die Leinwand tiefer hängt.
Dann gibt es einen Durchlauf. Die DVD, die ich mir anschaue, wurde oft bei der Generalprobe aufgenommen. Wenn die Premiere einige Zeit zurückliegt, haben sich Änderungen eingeschliffen, im Text, im Rhythmus. Den Durchlauf müssen die Gruppen zwar ohnehin machen, um in einem neuen Theater die Auf- und Abgänge zu üben. Nur sprechen sie den Text oft nicht im richtigen Rhythmus, sondern markieren bloss. Ich aber muss auf dem normalen Rhythmus bestehen. Man kann von einem 80-jährigen Michel Piccoli jedoch kaum verlangen, dass er sich für zwei Stunden Durchlauf voll engagiert und am Abend noch einmal zwei Stunden spielt. Dann muss ich mich auf die DVD verlassen und beten, dass sich nichts verändert hat.
Im Falle von „Finales“ in München war die Situation eine besondere. Beatriz Catani spricht kein Deutsch, und sie wollte, dass man ihr sämtliche 1025 Slides (also die Einblendungen) ins Spanische zurückübersetzt! Die Rückübersetzung war zwar mühsam, führte aber dazu, dass viele Stellen, die mir vorher unklar waren, sehr wohl einen Hintersinn oder einen Humor ergaben. Vor allem ging es um Anspielungen auf den Peronismus.

Was hatten Sie nun als Übertitlerin – die in Ihrem Fall die Übertitel meistens auch „fährt“, wie es im Jargon heisst, also live einblendet – an den drei Vorstellungen in München zu tun?

Während der Vorstellungen musste ich zweieinhalb Stunden voll präsent sein. In diesem Stück wird pausenlos geredet, ich hatte keinen Moment Ruhe. Das ist sehr anstrengend. Zudem sitzt man oft unbequem.
Und ich bin jemand, der immer noch etwas ändert. Manchmal möchte ich ein Wort doch anders übersetzen. Oder ich füge hier und dort noch ein Black (also eine Pause) ein. Je nach Bühnenbreite brauchen die Schauspieler für einen Gang mehr oder weniger Zeit, bis sie die Replik machen…
Rhythmus ist überhaupt das A und O. Es kommt immer wieder vor, dass man eine Information zu früh einblendet. Ich habe einmal, am Theaterspektakel, eine schlimme Erfahrung gemacht: Ich musste ein arabisch gesprochenes Stück aus Tunesien fahren, kann aber kein Arabisch. Und in der Vorstellung sass ein Herr der Compagnie neben mir, der kein Deutsch sprach; er stiess mich immer an, wenn er fand, ich solle drücken, ich sah aber, dass es nicht stimmen konnte, denn im Text sprach ein Mann, auf der Bühne eine Frau – ein Desaster! Andererseits überspringen Schauspieler immer mal wieder ein paar Sätze. Wenn ich keinen Shutter habe (eine Blende vor dem Beamer, um die Übertitel zu verdecken, die ausgelassenen Text betreffen, Anm. der Red.), muss ich einfach ein paar Slides durchklicken. Interessanterweise denken die Zuschauer immer, die Übertitlerin habe den Fehler gemacht. Ganz viele realisieren nicht, dass die Übertitel live gefahren werden. In München fand die Aufführung in einer Off-Spielstätte statt, wo kein Shutter verfügbar war. Prompt liessen die Schauspieler stellenweise einige Sätze aus. Was kein Wunder ist bei so viel Text, da muss man Verständnis haben.

In Ihrer Diplomarbeit betonen Sie mehrmals, dass mangelnde Koordination im Vorfeld von Gastspielen oft zu unbefriedigenden Übertitelungen führt. Wie war das in München?

In München fanden keine vorgängigen Abklärungen statt, aber es ergab sich die glückliche Situation, dass man die Übertitel auf die helle Hinterwand projizieren konnte. Die Standardsituation, die Projektion der Übertitel auf eine Leinwand oben über der Bühne, ist immer problematisch. Die Klagen, die ich höre, sind oft dieselben: Die Leinwand hänge zu hoch, man bekomme eine Nackenstarre. Oder das Licht auf der Bühne ist so hell eingestellt, dass man die Schrift der Übertitelung nicht mehr lesen kann. Im Grunde müsste es eine Zusammenarbeit mit der Lichtregie geben, wenn man weiss, dass das Stück auf Tournee geht.

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